Die Bildung des Tüttensee-Impaktkraters

Die Bildung des Tüttensee-Impaktkraters – das Experiment mit Schussapparat und Hochgeschwindigkeitskamera

Anklicken des Videos (auf jeden Fall auf vollen Bildschirm einstellen) führt zum entstandenen Krater durch Beschuss mit dem 6 mm großen Projektil.
Und das ist zu sehen: Von links nähert sich das abgeschossene Projektil mit seinem Schatten bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 1200 m/s. Sofort beginnt sich der Vorhang der Auswurfmassen aus dem sich entwickelnden primären Krater zu entwickeln. Aber vorher ist noch etwas Interessanteres zu sehen: Sofort den Blick nach rechts oben lenken, um zu sehen, dass einzelne Brocken der Ejekta allen anderen voran mit riesiger Geschwindigkeit nach oben und außen schießen (mehrfach abspielen!). Für den Experimentator Herrn Mehl und die Beobachter vom CIRT war das der vielleicht verblüffendste Effekt (abgesehen davon, dass so ein nicht unbedingt erwarteter perfekter Krater entstand); denn aus der Bildfolge der Kamera konnte die Geschwindigkeit der Partikel ziemlich genau gemessen werden, und die betrug 3000 – 4500 m/s.
Wie das? Das Projektil schlägt mit 1250 m/s ein, aber viele der ersten „Geschosse“ verlassen den Einschlag mit der drei- bis vierfachen Geschwindigkeit.
Es gibt weltweit schon eine Reihe von Experimenten zur Kraterbildung im Labor, aber dieser Effekt ist scheinbar noch nie beschrieben worden. Und doch! Es ist typisches Überschall-Impaktverhalten, und an anderer Stelle findet der Betrachter bereits den Hinweis auf die sogenannten spall plates, die bei natürlichen Impakten aus der oberflächennahen Interferenzzone mit höchster Geschwindigkeit ausgeworfen werden. Die Physik sagt zu dem erstmals von Melosh (1989) theoretisch erörterten Ablauf, dass es in dieser Zone zu einer Überlagerung von der Schockfront mit der durch Reflexion an der Erdoberfläche entstandenen Entlastungswelle kommt, was durch Interferenz dann zu den hohen Gechwindigkeiten führt. Beim Ries-Krater ist anzunehmen, dass die kilometerweit aus dem Krater geflogenen riesigen Malmkalk-Schollen aus einer solchen Interferenzzone als spall plates stammten.
Im Tüttensee-Experiment muss dasselbe abgelaufen sein.
Schauen wir, was weiter im Experiment-Video abläuft. Der Krater weitet sich, und der theoretisch genau so ablaufende Vorhang wandert nach außen, erzeugt den Ringwall und den anschließenden Ejekta-Teppich. (Der weiter außen liegende Ring ist ein experimentelles Artefakt).
Eine wichtige Beobachtung mit Bezug zur Entstehung des Tüttensee-Kraters ist der Umstand (genau hinschauen!) dass noch während des Auswurfvorgangs vom bereits entstandenen Ringwall beachtliche Auswurfmassen schon wieder in die Hohlform zurückfließen. Das erklärt die heutige Form des Kraters, dessen Wallkronen-Durchmesser 600 m beträgt, der wahre innere Krater nach der Geophysik aber nur einen Durchmesser von gut 300 m besitzt. Der Wall gleich nach dem Einschlag ist also deutlich höher gewesen. Und durch dieses Zusammenfließen wurde der Krater auch bis zur heutigen maximalen Seetiefe von ca. 17 m aufgefüllt. Anders als die Geologen vom Amt (LfU) es interpretieren und weiter vom Toteisloch reden, sieht man dieses Zusammenfließen auch sehr schön in den Seismogrammen der Jenaer seismischen Messungen auf dem See.
Wer möchte und eine Anaglyphen-Brille besitzt, kann sich den Tüttensee-Impakt auch noch mal in 3D anschauen.
Und wer hier anklickt, wird zum großformatigen Poster-PDF geführt, auf dem die Tüttensee-Kraterentstehung auch noch in einer Folge von „Standbildern“ graphisch erscheint.
Ein wichtiger Punkt bei diesem Experiment ist zu bedenken. Damit dieses überhaupt funktioniert, muss eine grundlegende Bedingung erfüllt sein: ein Überschall-Impakt, damit eine Schockwelle entsteht. Überschall und Schock bedeutet: Die Geschwindigkeit des einschlagenden Projektils muss höher sein als die Schallgeschwindigkeit (seismische Geschwindigkeit) im getroffenen Medium. Bei realen Impakten in der Natur kommen die Impaktoren mit kosmischer Geschwindigkeit zwischen etwa 10 und 70 km/s an und sind damit deutlich höher als die seismische Geschwindigkeit in Gesteinen (≈ 1 – 5 km/s).
Das war zunächst das Problem bei den Krater-Experimenten: Welches Material nehmen wir, damit diese Bedingung unbedingt erfüllt ist. Nach längeren Versuchen unseres Spezialisten Werner Mehl stellte sich normales Mehl als optimal heraus (nomen est omen). In dem Mehl wurde eine Schallgeschwindigkeit von etwa 100 m/s gemessen, womit bei einer Projektil-Geschwindigkeit von 1200 m/s die Grundvoraussetzung für einen Schockvorgang erfüllt war. Und nur so ist es möglich, dass ein 6 mm-Projektil einen Krater von 12 cm Durchmesser erzeugt!